Finnisch glücklich: Sisu

Sisu ist gewissermaßen eine finnische Art von Resilienz. Wann immer Menschen in Finnland an ihre Grenzen stoßen, ist ihr persönliches Sisu gefragt. Mit dieser Art von innerer Stärke, Selbstvertrauen und dem Mut, wichtige Aufgaben zu bewältigen, die eigentlich unmöglich erscheinen, schafft so manche Finnin und so mancher Finne einiges, wo andere längst aufgegeben hätten. Das bereichert das Gefühl der Selbstwirksamkeit, mit dem gleichzeitig wieder neue Kräfte in einem Menschen wachsen und mobil gemacht werden können.

Egal, ob es die Kälte des langen Winters ist, eine schwierige Prüfungsaufgabe oder ein zu lösender Konflikt: Wer Sisu hat, ist seiner Lösung schon ein Stück näher, als solche Menschen, denen es fehlt und blüht schließlich auf, wenn sich der wirklich selbst geschaffte Erfolg dann einstellt.

Sisu ist also eine Art innere Haltung. Wer seine Fähigkeiten und Kompetenzen realistisch und auf Augenhöhe einschätzt und bereit ist, seine eigenen Grenzen für eine gute Sache, ein wichtiges Ziel oder einen bewegenden Schritt in die richtige Richtung flexibel zu handhaben, der / die schafft Möglichkeiten, die sonst nur ein Traum wären.

In der Haltung des Sisu vereinen sich mentale Stärke und körperliche Fitness. Ergebnisse der Sisu-Forschung zeigen, dass mit der inneren Sisu-Haltung auch körperliche Stärke bereichert werden kann und dass - umgekehrt - körperliches Training und physische Herausforderungen einen positiven Einfluss auf die mentale Kraft eines Menschen haben können. So konnte nachgewiesen werden, dass sich bestimmte Hormone, die sich positiv auf unser Wohlbefinden auswirken, im Darm produziert werden. Das zeigt, dass auf der körperlichen Ebene nicht nur Bewegung von großer Bedeutung ist, sondern auch die Art und Weise wie wir essen und was wir unserem Körper mit der Nahrung zuführen. Nicht zuletzt wird deshalb auch eine gesunde und ausgewogene Ernährungsweise mit regionalen, vollwertigen und unverarbeiteten Lebensmitteln, teils direkt aus der Natur, nicht nur von vielen Finninnen und Finnen präferiert sondern diese Ernährungsweise teilweise sogar staatlich unterstützt.

Neben Lebensmitteln aus der Natur ist auch die allgegenwärtige und ausgedehnte Natur in Finnland als elementarer Teil des Lebens zu verstehen. Selbst in die finnische Städteplanung wird Natur ganz selbstverständlich mit eingebunden, um die Lebensqualität auch der immer mehr in Städten lebenden finnischen Bevölkerung hoch zu halten. So gehören selbst in der finnischen Hauptstadt Helsinki ein Naturstrand und ausgedehnte Parks zum Stadtbild dazu.

Natürlich ist auch in Finnland die "Stadt-Natur" eine andere als die ausgedehnten Wälder und tausenden Seen der ländlichen Gegenden und zahlreichen Nationalparks mit wildem Charakter. Doch beides stärkt das Wohlbefinden der Finnen und damit auch ihr Sisu, denn innerlich ausgeglichen ist und sich im Grunde zufrieden fühlt, der betritt leichter auch die unsicheren Wege und bewältigt Aufgaben außerhalb der Komfortzone, wenn einem das Leben mal anders mitspielt als geplant oder erhofft.

Neben der Natur und einem verantwortungsvollen Umgang mit der Gesundheit gehören zu den finnischen Zufriedenheits- und Glücks-Faktoren auch diese Punkte und Lebensgewohnheiten:

  • Saunabesuche: In die Sauna zu gehen ist in Finnland eine solche Selbstverständlichkeit wie vielleicht nirgendwo sonst. Einerseits wird hiermit durch Entspannung und Hitze bzw. Temperaturwechsel die Gesundheit gestärkt. Gleichzeitig steht die Nacktheit dieser Situation aber auch für absolute Augenhöhe im Miteinander. Beim Saunieren erleben sich die Finninnen und Finnen genau so wie sie sind. Nicht auf bestimmte Weise gekleidet oder geschminkt, ohne Statusunterschiede, sondern eben so, wie die Natur den oder die Einzelne geschaffen hat. Mit allen Rundungen, Falten, Narben, Gegebenheiten und all der darin liegenden individuellen Schönheit. Die Vielfalt der Unterschiedlichkeit ist für Finninnen und Finnen eine Selbstverständlichkeit. Diese Einstellung ist ein so wertvoller Schatz! Übrigens: In Finnland sauniert man nach Geschlechtern getrennt. Unnötige Reize werden so vermieden. Dafür ist es um so üblicher, in der Sauna Geschäfte zu besprechen und abzuschließen. Vielleicht ist ein entspanntes Gemüt in dieser Situation der Sache dienlich.
  • Leben mit Kälte: Nicht nur die Hitze der Sauna ist typisch für die finnische Lebensweise. Auch die Kälte gehört unweigerlich zum Leben in Finnland dazu. Und eng damit verknüpft ist auch wieder die charakteristische Art, dem Leben mit Sisu zu begegnen und erst durch die Anstrengung oder Herausforderung die Schönheit des anschließenden Glücksmoments zu erleben. So ist es nicht überraschend, dass Eisbaden in Finnland nicht als Verrücktheit angesehen wird, sondern als ganz normaler Weg, sein Sisu das ganze Jahr über zu stärken und aufrecht zu erhalten, denn Sisu lebt davon, dass man es nutzt. Nun ist der Winter in Finnland in der Regel eh schon eine herausfordernde Zeit der lang anhaltenden Kälte und so sei es niemandem verübelt, der nicht ins eisige Wasser springt. So manche(r) ist mit dieser Art des winterlichen Vergnügens schon gesund alt geworden oder hat die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden damit nachhaltig gestärkt, doch nur wer sich langsam an das Eisbaden oder andere mit Kälte oder Hitze in Verbindung stehende Herausforderungen und Erlebnisse herantastet, kann die Gesundheit stärken und auch dann ist es nicht für jede(n) geeignet!!!

Warnung!!! Bitte unbedingt lesen!!! Falls Du nun interessiert bist und auch einmal das Eisbaden (und / oder saunieren) ausprobieren möchtest, lass unbedingt vorher von einem Arzt / einer Ärztin abklären, ob Du dies unbedenklich und ohne gesundheitliche Risiken tun kannst oder ob Du es sein lassen musst!!! Extremtemperaturen sind immer auch ein Gesundheitsrisiko! Mach Dich außerdem unbedingt vorher mit den Regeln des Eisbadens vertraut und lass Dich von einem erfahrenen Menschen instruieren!!! Außerdem: Niemals allein eisbaden gehen!!! Auch die erfahrensten Menschen können durch die Kälte einmal bewusstlos werden und brauchen dann umgehend Hilfe!

  • Ein zuverlässiger Sozialstaat: Finnen und Finnen sind überwiegend davon überzeugt, in einem staatlichen System zu leben, dass sie in wichtigen Punkten des Lebens, wie z. B. gesundheitlichen Fragen oder Möglichkeiten der Kinderbetreuung gut unterstützt. So überrascht es nicht, dass Menschen, die Vertrauen in das Erleben herausfordernder Zeiten und die Zuverlässigkeit der dann nötigen Unterstützung durch die Gemeinschaft haben, stärker in sich ruhen können. Aus dieser Gelassenheit ergibt sich so gleichzeitig das Potenzial, eigene Kraft für andere, ebenfalls wichtige Situationen und Problemlösungen übrig und bereit zu haben. Wir, und auch die Finnen, sind eben keine Einzelkämpfer, sondern immer auch soziale Wesen, die das Miteinander brauchen. Im Übrigen ist Finnland im Sinne eines guten Miteinanders darum bemüht, soziale Unterschiede klein zu halten, Gerechtigkeit zu schaffen und jeder und jedem ein gesundes und gutes Leben zu ermöglichen.
  • Einfach ist gut! Es muss nicht kompliziert, teuer oder aufwändig sein. Oft liegen Charme und Schönheit in den einfach Dingen und verleihen ihnen überhaupt erst den Charakter, der uns auf besondere Weise erfreut und beglückt! Auch Problemlösungen müssen nicht kompliziert sein, nur weil sie dann mehr hermachen oder Prestige und Ansehen damit steigen. Nein, im Gegenteil. Wer es schafft, einfache, pragmatische Lösungen zu schaffen, der kann leichter wieder entspannt und zufrieden sein. Auch einfaches Essen kann sehr beglückend sein. Hauptsache, es ist gesund, schmeckt gut und schafft im besten Fall noch eine Verbindung zu der Landschaft, dich umgibt, wenn Du die Zutaten vielleicht sogar mit Deinen eigenen Händen geerntet hast. Darin steckt Sisu pur und die darin liegende Sisu-typische Verknüpfung von Alltagsanstrengungen und kleinen Erfolgen sorgt für den einen oder anderen Glücklichkeitsmoment.
  • So viel wie nötig - und nicht mehr: Ein gutes Maß, dass seinen Zweck erfüllt und dadurch Zufriedenheit schafft, ist - ähnlich wie beim schwedischen Lagom - auch in Finnland genau richtig. Völlerei und Übertreibung sind untypisch für Finnland - Genuss wird hingegen um so mehr zelebriert. Doch es braucht nicht viel, um genießen zu können. Ein Ausflug in die umliegende Natur, gutes Essen - gerade so, dass man angenehm satt wird - ein paar Menschen um einen herum, die einem etwas bedeuten und mit denen man schöne Momente teilen kann. Auch der Worte braucht es oft nicht viele. Zwar sind nicht alle Finn*innen so wortkarg, wie man es ihnen oft nachsagt. Doch was gesagt ist, ist gesagt und dann ist es auch gut so. Auch an Kleidung, braucht es nicht unnötig viel. Wenn sie ihren Zweck erfüllt, ist es in Ordnung. Denn es geht nicht um Ansehen oder Status, denn Augenhöhe (wie schon in dem Abschnitt über's Saunieren beschrieben) durchzieht alle Lebensbereiche. Statusgefälle wird dadurch vermieden. Das bedeutet nicht, kein individuelles Leben zu führen oder sich nicht individuell zu kleiden. Es geht ausschließlich darum, nichts zu übertreiben und zu erkennen, dass gutes Miteinander und ein schönes Leben oft auf einfachen Dingen beruhen und gleichzeitig davon auch oft nur wenig nötig ist. Gerade (nur) soviel zu tun, zu sagen und zu nutzen, wie wir brauchen, um etwas zu schaffen oder ein Ziel zu erreichen, ist das, was Wohlbefinden schafft. Und das können die Finnen: In verschiedenen Studien zum Glücksempfinden und zur Lebenszufriedenheit der Menschen in den Ländern der Welt (OECD oder World happiness report) zeigen sich die Finnen immer wieder als eines der glücklichsten Völker der Welt. Sisu und die finnische Lebensphilosophie scheinen also ein gutes Konzept zu sein!
  • Wiederverwenden und selbermachen: Sisu gepaart mit Einfachheit führt dazu, zu nutzen, was schon da ist, den Zweck gegebenenfalls anzupassen und das aus eigener Kraft zu tun. Alte Gegenstände zu reparieren oder ihnen ein neues Leben oder sogar eine neue Funktion zu schenken oder etwas selbst herzustellen (Stricken, Bauen, basteln, Nähen, backen, gärtnern und vieles mehr) ist also absolut im Sinne von Sisu! Wie schön, dass Upcycling und DIY (do it yourself) auch unter Nachhaltigkeitsaspekten sehr sinnvoll sind! Denn den Sinn in einer Tätigkeit zu entdecken, daraus die Kraft zu ziehen, sich mit Sisu aufzuraffen und wirksam zu werden und sich anschließend über das selbst geschaffene Ergebnis zu freuen, könnte finnischer nicht sein!
  • Ökologisch denken und handeln: Neben wiederverwenden und selbermachen sind auch in anderen Punkten der finnischen Lebensphilosophie Nachhaltigkeitsaspekte zu erkennen. So ist es geradezu Sisu-klassisch, auch bei noch so schlechtem Wetter oder Kälte das Fahrrad zu nehmen und das Auto stehen zu lassen, einfach, weil es möglich ist, das eigene Sisu stärkt und mehrfach Sinn ergibt: Gesundheitlicher nutzen und Fitness, finanzielles Plus und ein Gewinn für die Umwelt, da weniger Lärm und Schadstoffe eingespart werden, was den Kreis schließt und auch wieder der Gesundheit zugute kommt.

Sisu ist vielfältig, hat immer mit Engagement zu tun, überwindet Hindernisse, findet Sinn, stärkt die Gemeinschaft, wird auf Augenhöhe gelebt und schafft Selbstwirksamkeitserfahrungen, die das persönliche Glücksempfinden bereichern! Sisu und das finnische Lebensglück sind außerdem so eng mit der Natur verknüpft, dass wir erkennen, wie wichtig die Vielfalt intakter Natur für uns Menschen als elementare Lebensgrundlage ist. Ohne sie sind Leben, Gesundheit und schon gar keine Glücksmomente möglich. Nehmen wir es uns als Beispiel und Vorbild und lassen auch wir mehr Natur in unser Leben! Denn das macht glücklich! Danke, Finnland, für diese wertvolle Inspiration!


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